Gangs of New York
- Regie:
- Martin Scorsese
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA / Deutschland / Italien / Großbritannien / Niederlande
2 Review(s)
08.01.2008 | 05:59Er ist es, war es und wird es immer bleiben: einer der besten Filmregisseure aller Zeiten. Martin Scorsese ist ein Meister seines Fachs, der sein Publikum wie kein Zweiter fesseln kann. Was er anfasst, wird zu Gold, obgleich ihm der begehrte Goldjunge seit seiner ersten Nominierung als "Bester Regisseur" 1981 für sein Boxer-Drama "Wie ein wilder Stier" 26 Jahre verwehrt blieb, bis ihm die Academy 2007 für das "Infernal Affairs"-Remake "Departed - Unter Feinden" die begehrte Auszeichnung überreichte. Während seine einzigartige Filmographie Klassiker ("Taxi Driver") an Klassiker ("Wie ein wilder Stier") und Meilenstein ("GoodFellas") an Meilenstein ("Casino") reiht, sind es vor allem die kleinen Ausflüge in fremde Gefilde ("New York, New York", "Kundun"), die ihm den Titel als vielfältiger Regisseur verleihen. Seinen bis dato größten (kommerziellen) Erfolg erzielte Scorsese mit seinem Historienepos "Gangs of New York", welches auf Herbert Asburys gleichnamiger Buchvorlage von 1928 basiert. Und das, obwohl Scorseses blutiger Kostümfilm, an dem er bereits seit Beginn der 1970er Jahre arbeitete, seinerzeit mit harschen Kritiken leben musste. Verdient hat "Gangs of New York" diese mit Sicherheit nicht. Und trotzdem lebt er bis heute ein Schattendasein zwischen Scorseses genialen Meisterwerken.
Wir schreiben das Jahr 1846. Im damaligen New York, oder besser in den Five Points, ein Viertel im Süden Manhattans, herrscht Krieg. Zwischen Korruption, Gesetzlosigkeit und einer Zivilisation, die (noch) keine ist, gewinnen die "Natives", die Einheimischen, um Anführer William Cutting (Daniel Day-Lewis, "Zeit der Unschuld"), von allen nur "Bill The Butcher" genannt, gegen die irischstämmige Bande die "Dead Rabbits" um Priester Vallon (Liam Neeson, "Schindlers Liste") eine erbitterte Bandenschlacht um die Vorherrschaft in den Straßen. Priester Vallons Sohn Amsterdam wird nicht nur Zeuge der blutigen Niederlage, er muss mit ansehen, wie Bill Cutting seinem Vater auf dem Schlachtfeld den Todesstoß verpasst.
Sechzehn Jahren später, die er ohne Unterbrechung in einer Erziehungsanstalt verbracht hat, kehrt der erwachsen gewordene Amsterdam (Leonardo DiCaprio, "Blood Diamond") zurück in sein altes Viertel, um den Tod und die Ehre seines Vaters zu rächen. Wie Amsterdam feststellen muss, hat sich in den Five Points einiges verändert. Bill ist nicht nur ein gefürchteter Gang-Boss, sondern auch die einflussreichste Person des Viertels, deren Macht sich bis in die Politik und die Polizei erstreckt. Um an den Mörder seines Vaters heranzukommen, reiht sich Amsterdam in Bills Gang ein. Denn wie heißt es so schön: "Sei deinen Freunden nahe. Deinen Feinden noch näher". Und so wird aus dem fremden Neuankömmling Bills vertrauter Schützling, der in der geheimnisvollen Taschendiebin Jenny Everdeane (Cameron Diaz, "Vanilla Sky") eine undurchsichtige Verbündete findet. Amsterdams Racheplan ist geschmiedet ... und wartet nur darauf, in die Tat umgesetzt zu werden.
"Gangs of New York" ist Scorsese'sches Erzählkino in Reinkultur: detailverliebt, authentisch, radikal. So erzählt der italienischstämmige Filmemacher den vorherrschenden Bandenkrieg zwischen Einheimischen und Einwanderern in den Straßen New Yorks, zu einer Zeit, in der Verbrechen alltäglich, Korruption nichts Ungewöhnliches ist. Anstatt sich zusammenzuschließen, der Versuchung gegenüberzutreten, eine Zivilisation aufzubauen, die gute Lebensbedingungen und technischen Fortschritt verheißt, führen die Gangs einen erbitterten Krieg um Macht und Ehre. Einen Krieg, der das Denken der Menschen ebenso wie diese selbst einen Schritt zurückgehen lässt. Der Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs, die allgemeine Wehrpflicht, die Befreiung der Sklaven, so ironisch das auch klingen mag, und die ungerechte Einkommensverteilung, die zu einer Klassengesellschaft führt, bringen das bereits randvolle Fass zum Überlaufen. Die Draft Riots, die gewalttätigen Unruhen, stürzen somit das seinerzeit unzivilisierte New York in ein schier unüberwindbares Chaos.
So viel zum historischen Hintergrund. Denn die eigentliche Geschichte, die uns Martin Scorsese erzählt, ist eine andere, eine hasserfüllte über den Racheplan Amsterdams, des Sohnes des getöteten Priester Vallons, seines Zeichens Anführer der irischstämmigen Gang "Dead Rabbits". Scorsese fokussiert dabei das angespannte Verhältnis zwischen Rächer Amsterdam und Mörder Cutting und den Konflikt zwischen Amsterdams Racheplan und seiner Definition von väterlicher Ehre.
Um sowohl den historischen Kontext als auch die eigentliche Handlung unter einen Hut zu bringen, lässt sich Scorsese, wie man es von dem Regie-Altmeister gewöhnt ist, eine Menge Zeit. Ganze zweieinhalb Stunden Spielfilmlänge traut Scorsese dem gespannten Zuschauer zu, ohne diesen mit unwichtigen Fakten und Informationen zu quälen, und hält diesen dank bildgewaltiger Filmmontagen und dichter Atmosphäre, für die sich die authentischen Schauplätze und Kostüme verantwortlich zeichnen, bei bester Laune. Was dem negativ gegenübersteht, ist das überladene Drehbuch. Zum einen ist der Handlungsstrang um Taschendiebin Jenny Everdeane ebenso leicht gezeichnet wie storyseitig irrelevant (darüber hinaus kann Cameron Diaz ihrem undurchsichtigen Charakter keine Substanz verleihen), zum anderen verliert sich gegen Ende des Films der unantastbare Konflikt zwischen Amsterdam und Cutting in den unüberschaubaren Schauplätzen und der historischen Genauigkeit Scorseses während der Höhepunkte der Draft Riots.
Einmal mehr stellt Martin Scorsese sein Talent als Geschichtenerzähler und Visualist unter Beweis. Zwar offenbart "Gangs of New York" kleinere Schwächen im Drehbuch, alles in allem aber ist dieses brutale, da blutige Historienepos ein stilsicherer und visuell ansprechender Genrefilm, der mit Leonardo DiCaprio und Daniel Day-Lewis, der seinen schon glaubwürdigen Partner mühelos an die Wand spielt, schauspielerisch auftrumpfen kann. Alleine Cameron Diaz wirkt in Scorseses zweitem Kostümfilm nach "Zeit der Unschuld" (ebenfalls mit Daniel Day-Lewis in der Hauptrolle) fehlbesetzt. Was die Kinematographie anbetrifft: perfekt photographierte (Kamera: Michael Ballhaus), passend untermalte (Musik: Howard Shore) und präzise geschnittene (Schnitt: Thelma Shoonmaker) Genrekost.
- Redakteur:
- A. C.
Wirft man einen Blick auf die Filmographie von Regisseur Martin Scorsese, so erblickt man einige Filme wie "Mean Streets" (1973), "Taxi Driver" (1976), "Goodfellas" (1990) und "Bringing out the Dead" (1999), die von Scorseses Heimatstadt New York erzählen. Meist tun sie dies aus dem Blickwinkel des kleinen Mannes, der das Leben in den Straßen unmittelbar miterlebt. So ist es auch in "Gangs of New York", der das Leben im New York zur Zeit des Civil War anhand einiger Gangmitglieder porträtiert, dabei aber auch besonderes Augenmerk auf die große Politik legt.
Nachdem der Sohn irischer Einwanderer Amsterdam Vallon mit ansehen muss, wie sein Vater (Liam Neeson) bei einem Kampf zwischen der irischen Einwanderer-Gang und der Gang der sogenannten Natives von deren Anführer William Cutting (Daniel Day-Lewis) getötet wird, beschliesst er, diesen Tod zu rächen. Als er nach einem längeren Heimaufenthalt schließlich als Erwachsener (von da ab verkörpert von Leonardo DiCaprio) wieder in die Gegend der Five Points, dem Gangviertel, kommt, findet er diese verändert vor: In dem ganzen Gewirr aus Gangs und rivalisierenden Feuerwehr- und Polizei-Trupps steht William Cutting ohne ernsthaften Rivalen an der Spitze. Schnell knüpft Amsterdam Kontakte zu dem Iren Johnny Sirocco (Henry Thomas) und der hübschen Trickdiebin Jenny Everdeane (Cameron Diaz) und kommt schließlich auch in die Nähe von William Cutting. Dieser nimmt ihn, beeindruckt von seinen Qualitäten im Kampf und nichtwissend, mit wem er es zu tun hat, unter seine Fuchtel. Doch bei dem Fest, bei dem der Jahrestages des Sieges über seinen Vater gefeiert wird, hat Amsterdam vor, seinen Plan endlich in die Tat umzusetzen und William Cutting zu töten.
Unterdessen kommt es in der Bevölkerung New Yorks zu einem Aufruhr, da der hohe Verbrauch an Menschenleben im Civil War zu einer wahren Rekrutierungswelle geführt hat, von der nur die Reichen verschont bleiben. Wegen der dadurch zunehmenden Unzufriedenheit mit Lincolns Politik und der herrschenden Klasse stehen die Stadtbewohner kurz vor einem Aufstand.
Schon die Anfangsszene, in der die Schlacht zwischen den Iren und den Natives dargestellt wird, zeigt, dass man es hier mit Profis zu tun hat: Die Szene ist genau im richtigen Tempo geschnitten, balanciert gekonnt zwischen Massen- und Einzelaufnahmen der Kämpfenden, Verfremdungseffekte werden geschickt eingesetzt, und das ganze ist von Kameramann Michael Ballhaus in fulminanter Art und Weise fotografiert. Da es auch noch gelungen ist, das alles technisch auf der Höhe der Zeit zu inszenieren, ohne unnötige Abstriche beim Realismus der Szene zu riskieren, weiss schon allein in dieser Szene enorm zu begeistern.
Dann wird es allerdings erst einmal wieder etwas ruhiger, damit die Handlung des Films langsam aufgerollt werden kann. Diese entpuppt sich aber leider als eine zu standardisierte Rachestory. Denn auch wenn die Szenerie noch nicht so ausgelutscht ist, so ist es jedoch zumindest der Haupthandlungsstrang. Ein Junge muss den Tod seines Vaters miterleben, schwört diesen zu rächen, gewinnt nach einigen Jahren das Vertauen des Täters, lernt ihn kennen und schätzen, fühlt sich letztendlich aber doch seiner Rache verpflichtet, hat aber zwischenzeitlich noch Zeit für eine Romanze. Das ist wohl nicht sonderlich originell.
Diese simple Story wird allerdings dadurch wieder relativiert, dass sie im Film in einen historischen, politischen Kontext eingebettet ist und eigentlich nur als roter Faden dienen soll. Wenn sie nämlich schließlich mit den Geschehnissen um den Civil War, die anfangs scheinbar unbedeutend nebenher ablaufen, kollidiert, so ist das ein gelungener Bruch in der vermeintlich einfachen Struktur des Films, die Scorseses Aussage auf einfallsreiche Weise untermauert.
Ansonsten merkt man es dem Film auch an, dass Scorsese mehr Wert auf eine umfangreiche Milieu-Studie als auf eine komplexe Hintergrundgeschichte gelegt hat. So kommt es auch, dass es der Film mit seinen 166 Minuten, obwohl er nur einen relativ kurzen Handlungszeitraum abdeckt, doch so etwas wie epische Breite schaffen kann. Da wird von den Tricks kleiner Gauner, den verschiedenen Gangs, den rivalisierenden Feuerbrigaden über das Wahlkampfgeschehen bis hin zur nationalen Kriegspolitik alles abgedeckt, was das New York im Jahre 1863 so ausmachte.
New York wird dabei als ethischer Schmelztiegel porträtiert, in dem die ehemaligen Briten, die sich in dieser Generation nach der Abnabelung vom Vaterland schon als Natives, als eingeborene Amerikaner, sehen, mit irischen Neuankömmlingen, Schwarzafrikanern, Chinesen, Zigeunern und vielen anderen zusammentreffen. Dies führt dann unter anderem zu den religiös-kulturellen Konflikten, die als Aufhänger für die Rachestory dienen, aber auch zu einer großen Anzahl unterschiedlicher kultureller Anlässe und Feste und einer Vielzahl von Typen, die vor allem in der Originalversion des Films auch durch ihre individuelle Sprache charakterisiert werden.
Auf diese Weise vermag der Film ein authentisch wirkendes und atmosphärisches Bild der Zeit zu zeichnen, bei dem freilich auch der Bezug zum Civil War nicht fehlen darf. Anfangs wirkt er noch fern und wird allenfalls in Randbemerkungen gewürdigt, nimmt aber doch zunehmend Einfluss auch auf New York und natürlich den Film. Scorsese geht dabei einen für Amerikaner eher ungewöhnlichen Weg und zeigt Lincolns Kriegspolitik auch von seiner negativen Seite. So führt der Kampf gegen die Südstaaten und damit gegen die Sklaverei durch seinen enormen Menschenverschleiß in der Heimat eher dazu, dass die Unzufriedenheit wächst und der Hass auf farbige Mitbewohner nur noch geschürt wird. Dies wiederum führt zu einem Aufstand gegen die Reichen und der Ermordung zahlreicher Farbiger in New York.
Besonders beeindruckend ist im Zusammenhang mit dem Civil War eine gelungene Plansequenz, in der neue Einwanderer aus Irland erstmals amerikanischen Boden betreten. Diese werden von der Bevölkerung entweder als Eindringlinge, Stimmvieh für politische Wahlen oder eben williges Kanonenfutter angesehen und entsprechend empfangen. Und so folgen wir den irischen Einwanderern in dieser Plansequenz auf ihrem Weg vom Schiff zur Rekrutierungsstelle und von dort auf ein anderes Schiff, das sie gleich weiter zum Kriegsgebiet befördern soll und von dem just in dem Moment die Särge Gefallener entladen werden. Eine wunderbare Szene.
Um aber wieder auf die Ausgangsstory, die als Aufhänger für all dies dient, zurückzukommen: Während die Handlung etwas dünn wirkt, so sind die Figuren doch deutlich komplexer gestrickt. Dank der langen Laufzeit bieten sich auch genug Möglichkeiten, diese in allen Facetten darzustellen. Am meisten zu gefallen weiß dabei der Charakter des William Cutting, der noch dazu hervorragend von Daniel Day-Lewis gespielt wird. Wirkt dieser zu Beginn noch etwas grobschlächtig und undurchschaubar, so offenbart er im Laufe des Films doch mehr von sich, das zu etwas Klarheit über seine Taten führt und ihn zu etwas anderem als dem typischen Film-Bösewicht werden lässt. Angesichts dessen wirkt die Figur des Amsterdam Vallon etwas blass und zu sehr an Stereotypen orientiert, was aber nur selten störend wirkt. Zudem wird sie von Leonardo DiCaprio überzeugend dargestellt, auch wenn dieser Day-Lewis zu keiner Zeit das Wasser reichen kann.
Bei den Nebencharakteren ist dies mitunter sehr wechselhaft, aber zum großen Teil fügen sich Darsteller und Charakterzeichnung auch hier zu einem positiven Gesamtbild. Lediglich die Handlungen von Johnny Sirocco sind manchmal schwer nachzuvollziehen, und der Part der Jenny Everdeane ist etwas zu ausufernd geraten, was in keinem Verhältnis zur Handlung steht, aber dennoch für etwas Ausgleich in dem von Männern dominierten Film sorgt. Zudem ist er mit Cameron Diaz gut besetzt.
Der ganze Film ist durchgehend auf hohem technischen Niveau, gut geschnitten und vor allem auch hervorragend gefilmt, was allerdings nicht sonderlich überrascht, da mit Michael Ballhaus ja auch einer der weltbesten Kameramänner hinter der Kamera steht. Zudem wartet der Film mit hervorragenden Kulissen und Kostümen auf, die allein schon den Rahmen für den Gesamteindruck bieten, hiermit ein authentisches Stadtporträt New Yorks in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu erleben. Der Authentizität dienlich sind auch die stellenweise ziemlich blutigen Gewaltszenen, die aber nie übertrieben oder selbstzweckhaft sind.
"Gangs of New York" reiht sich problemlos ein in die Reihe von Scorseses gelungenen Porträts über New York, nur dass er dieses in die Vergangenheit verlegt und zudem in einen größeren Kontext einbettet. Dabei ist ihm ein wahrhaft großartiger Film gelungen, der mit einer spannenderen Story durchaus auch das Potential zu einem zeitlosen Meisterwerk gehabt hätte. Und auch wenn der Film trotz zehn Nominierungen bei der Oscar-Verleihung nicht einen einzigen erhielt, so bleibt das Fazit dennoch: Sehr empfehlenswert!
Die DVD von Splendid Entertainment bietet den Film mit einem schönen, wenn auch geringfügig blassen Bildtransfer und neben der deutschen Synchron- auch die englische Originalfassung des Films. Auch wenn die Synchronisation durchaus in Ordnung geht, ist der Film im Original einfach besser, allein schon durch die vielfachen Dialekte, die großen Anteil an der Atmosphäre des Films haben. Bei Verständnisschwierigkeiten kann man ja deutsche oder besser noch englische Untertitel zuschalten.
- Redakteur:
- Andreas Fecher